Wie jedes Jahr bietet die Thyssenkrupp AG eine Studienfahrt nach Auschwitz und Krakau an. Nachdem ich mich letztes Jahr noch zu sehr, wie ein Neuling im Unternehmen gefühlt habe, habe ich dieses Jahr den Mut gehabt mich zu bewerben.
Gegen das Vergessen – Studienfahrt nach Auschwitz und kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit von Thyssen und Krupp
Genau: bewerben. Die Teilnehmenden werden nicht durch ein Losverfahren ausgewählt, sondern wir mussten ein Motivationsschreiben abschicken. Zum Glück wurde meine Bewerbung angenommen und ich durfte mit 19 anderen Teilnehmenden nach Polen fahren.
Nach einem Vorbereitungswochenende in der DGB-Bildungsstätte in Hattingen, fühlten wir uns alle für den Besuch bei den Gedenkstätten gewappnet.
Es ging am Samstag los. Der Treffpunkt für alle Teilnehmenden, die aus ganz Deutschland angereist waren, war der Leipziger Hauptbahnhof. Spät abends fuhr dann der Bus über Nacht zur Internationalen Jugendbildungsstätte in Oświęcim.
Das ist der richtige Name des Ortes, in dessen Nähe das Konzentrationslager Auschwitz errichtet wurde. Die Nationalsozialisten haben damals versucht die polnische Kultur durch die Besatzung zu ersetzen und im Zuge dessen viele Städte umbenannt. Deswegen werde ich im Folgenden die Stadt Oświęcim nennen und das Konzentrationslager Auschwitz. Denn die Stadt war und bleibt polnisch, das Lager und, was darin passierte, war jedoch deutsch.
Nachdem wir um kurz nach 6 Uhr an der Jugendherberge angekommen waren, ging es direkt mit dem Programm los. Nach dem Frühstück begleitete uns eine Freiwillige der Jugendbildungsstätte durch die Stadt Oświęcim und gab uns einen kleinen Einblick in die Geschichte der Stadt und die Geschichte des jüdischen Lebens dort. Bevor die Nationalsozialisten die Stadt eingenommen und direkt daneben Konzentrationslager errichtet hatten, lebten 7000 Juden und Jüdinnen in Oświęcim. Heute lebt noch eine einzige jüdische Person dort.
Wir besuchten auch die einzige Synagoge im Umkreis von Auschwitz, die nicht von den Nazis verbrannt oder anderweitig zerstört worden war und erhielten einen Einblick in die jüdische Kultur und den jüdischen Glauben. Da es in Oświęcim keine aktive jüdische Gemeinde gibt, wird die Synagoge hauptsächlich von Juden und Jüdinnen genutzt, die zum Gedenken an die Shoah nach Oświęcim kommen.
Am nächsten Tag besuchten wir das Stammlager Auschwitz. Die dortigen Häftlingsblöcke und Zäune, sowie Wachtürme und eine Gaskammer mit anschließendem Krematorium sind sehr gut erhalten und dienen als Museum. Jedes Jahr kommen über 2 Millionen Menschen nach Auschwitz, um der Opfer zu gedenken.
In zwei Blöcken ist das Leben der Häftlinge dargestellt. Fotos, Videoausschnitte und Karten zeigten die Organisation und Durchführung des Genozids. Außerdem werden dort die persönlichen Gegenstände der Opfer ausgestellt. Ein ganzer Raum ist mit den Schuhen der Menschen gefüllt, die in den Gaskammern ermordet wurden. Hunderte Brillen, und Koffer kann man sich ebenfalls anschauen. Erst dort bekam ich ein richtiges Gefühl dafür, wie furchtbar der Holocaust war. Jeder Schuh, jede Brille, jeder Koffer gehörte einem Menschen. Einem echten Menschen, nicht nur einer Zahl oder einer Statistik. Einem Menschen mit Hoffnungen und Träumen. Einem Menschen, der es nicht verdient hatte zu sterben.
Am Nachmittag besuchten wir zwei Gedenkstätten von Auschwitz Monowitz. Dort waren Zwangsarbeiter der IG Farben untergebracht. Die Firma produzierte Gummi, was für Reifen benötigt wurde. Auch die Firma Krupp hat in der Nähe des Stammlagers eine Produktionshalle gebaut, in der Zünder produziert werden sollten. Bevor es dazu kam, wurde die Halle allerdings an eine andere Rüstungsfirma verkauft. Wir haben trotzdem über die Geschichte der Firma Krupp gesprochen und dass die Stiftung darüber nachdacht hat den Namen zu ändern, weil Alfried Krupp von Bohlen und Halbach doch ein größerer Nazi-Sympathisant war als gedacht.
Der Besuch im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau am nächsten Tag zeigte uns die Ausmaße des Genozids. Das Gelände ist etwa drei Mal so groß wie das vom Stammlager und die Lebensbedingungen waren mehr als nur menschenunwürdig. Einfache Holzbaracken, kaum Essen oder Wasser, keine warme Kleidung oder auch nur Decken zum Schlafen. Die dortigen Gaskammern wurden kurz vor der Befreiung durch die Rote Armee von den Nationalsozialisten gesprengt, um Beweise zu vernichten. Alle bis auf eine. Eine Gaskammer wurde schon im Oktober 1944, drei bis vier Monate zuvor von den Häftlingen durch einen Aufstand zerstört. Die Geschichte dazu und die Tapferkeit der Menschen hat mich sehr berührt.
Als wir am Abend in unseren Reflektionsrunden über das Erlebte sprachen, versuchten wir Lehren aus dem Erlebten zu ziehen und Hoffnung für die Zukunft zu schöpfen. Wir sprachen über die furchtbaren Verbrechen und man konnte die Einigkeit spüren, mit allen Mitteln zu verhindern, dass es sich jemals wiederholt. Ich denke, dass jeder von uns gestärkt aus dieser Fahrt herausgeht. Jeder von uns hat dazu beigetragen, die Erinnerung am Leben zu erhalten und jeder von uns wird sie weitertragen. Die Opfer werden nicht in Vergessenheit geraten.
Ich rate allen von euch, sich auch bei dieser Fahrt zu bewerben. Die Erfahrungen, die man macht, aber auch die Freundschaften, die man findet, sind unglaublich wertvoll. Ich bin sehr dankbar, dass die KJAV und der KBR, sowie auch die Thyssenkrupp AG uns diese Fahrt ermöglichen.
Allein die Zahlen zu hören, erfasst einfach nicht wie furchtbar und grausam der Holocaust wirklich war. An dem Ort zu sein, wo Millionen Menschen ermordet wurden, ist ein bedrückendes Gefühl. Vor allem, weil wir wissen, dass wir für ein Unternehmen arbeiten, welches unter der Herrschaft der Nationalsozialisten vermutlich weit über 100.000 Zwangsarbeiter beschäftigt hat. Die Friedrich Krupp AG hatte damals in Essen eigens ein KZ-Außenlager für ihre Zwangsarbeiter errichtet und Alfried Krupp von Bohlen und Halbach wurde sogar von den Alliierten bei den Nürnberger Prozessen zu einer langen Haftstrafe verurteilt.
Meiner Meinung nach ist es unsere Pflicht als Tätervolk und als Unternehmen mit dieser verbrecherischen Vorgeschichte, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Nur wenn man versteht, was damals passiert ist und begreift, wie grausam viele unserer Vorfahren, die Nationalsozialisten, waren, können wir verhindern, dass es wieder so weit kommt.
Natürlich erscheint das weit in der Ferne, dass es jemals wieder zu einem Völkermord in diesem Ausmaß kommen könnte. Aber die NSDAP, Hitler’s Partei, ist nicht an die Macht gekommen, weil sie versprochen hat, sechs Millionen Juden zu töten. Sie sind an die Macht gekommen, weil sie den Menschen suggeriert haben, dass sich alle ihre Probleme lösen würden, wenn die Juden nicht mehr da sind. Eine bestimmte Bevölkerungsgruppe sei an allen Übeln des Landes Schuld. Von Arbeitslosigkeit bis zu Übergriffen auf Frauen.
Ich möchte diesen Artikel mit den Worten des Zeitzeugen Max Mannheimer beenden, der unter anderem auch Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau überlebte:
„Ihr seid nicht für das verantwortlich, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon.“
Eure Hannah